Tatendurstig und warm eingemummelt stehen elf Menschen an Deck. Aber der Wind schwächelt, der feine Hauch reicht nicht fürs Segeln. Was tun? „Die Sturmsegel setzen“, schlägt einer vor. Verwunderte Blicke. Aber warum nicht? Einen Moment später sind alle an der Arbeit. Es ist Ende April und Stammcrew-Training auf Esprit.
Ehrenamtlich an Bord
Die Schoneryacht Esprit wird ehrenamtlich gesegelt. Alle an Bord sind dabei, weil sie Spaß daran haben, ein so großes, schönes Schiff zu segeln. Und weil sie diesen Spaß gern mit anderen teilen. Aber das Segeln eines großen Schiffes mit vielen Menschen verlangt ein hohes Maß an Können. Die Trainings dienen dazu, die Stammcrew auf die Aufgaben vorzubereiten. Wenn es hart auf hart kommt, zählt das Versprechen, dass die Stammcrew das Schiff und alle, die an Bord sind, sicher wieder in den Hafen bringt.
Und so kommt es, dass trotz strahlendem Sonnenschein und angenehmer Vorhersage die Crew anfängt, sich auf raue Zeiten vorzubereiten: Sturmsegel suchen, durchsehen, anschlagen und setzen. Als erstes ist der Klüver zwei dran, ein Segel für Windstärke sieben bis acht, mit einem neon-roten Ecken, um auch im schweren Seegang gut sichtbar zu sein. Normalerweise fristet dieses Segel sein Dasein in der Vorpiek, gut verstaut in einem Sack. Die meisten haben es noch nicht in Aktion erlebt.
Routine für die Sicherheit
„Diese Ausrüstungs-Teile vorzuholen und auszuprobieren, gibt mir Sicherheit“, sagt Paula, 27, seit zehn Jahren bei Esprit dabei und Co-Skipperin. Sie erinnert sich noch gut an ihr erstes Stammcrew-Training. Alles war neu. Inzwischen gehört sie beim Training zu jenen, die Wissen weiter geben – jede Saison ein bisschen mehr. „Zur Stammcrew zu gehören hat viel mit Verantwortung zu tun“, sagt sie. Wenn das Wetter hart wird, bleibt nicht viel Zeit, die Dinge zu suchen. Da gilt es, sicher zu handeln und anderen Sicherheit zu geben. Bei Flaute für den Sturm zu trainieren ist Paula deshalb wichtig und ein Grund, immer wieder bei den Trainings dabei zu sein.
Ob langer Törn oder kurzer Törn – vor jeder Fahrt gibt es auf Esprit eine Sicherheitseinweisung, damit auch Neue eine Idee davon bekommen, wie sie sich im Krisenfall verhalten. Das Nebeneinander von dieser Ernsthaftigkeit und dem Spaß am Segeln ist Teil des Konzepts. Und zu lernen gibt es immer etwas.
Segeltrimm beim Frühstück
Samstagmorgen am Frühstückstisch zum Beispiel. Ganz anderes Thema. Weniger brisant, aber nicht weniger spannend. Was kann man tun, damit Esprit richtig schnell wird? Anatol, genannt Tolli, der als Skipper diesmal das Stammcrew-Training leitet, erklärt die feinen Unterschiede beim Einstellen der Segel. Erst, wenn alle vier Segel perfekt aufeinander abgestimmt sind, lässt sich die Kraft des Windes optimal nutzen. Später auf der Weser werden sie das ausprobieren.
Beim Stammcrew-Training dabei sind meistens sehr unterschiedliche Menschen. Manche gehören schon seit vielen Jahren zum Team, frischen ihr Wissen wieder auf und teilen es. Andere sind neu. Einer hat gerade mal fünf Törns mitgemacht, dabei Feuer gefangen und nun Lust, sich zum Wachführer zu qualifizieren. Ein anderer ist auf verschiedenen Yachten schon als Skipper gefahren, aber kennt die Esprit nicht und will sie kennenlernen. Wieder andere sind wie verwachsen mit dem Schiff und kennen Maschine, Elektrik, Funk und Navigationsinstrumente bis ins Detail. Das Nebeneinander von verschiedenen Leveln und – damit verbunden – das Von-einander-Lernen ist Teil des Konzepts. Das gilt für das Stammcrew-Training, aber auch für jeden anderen Törn. Sailtraining ist die große Überschrift über allem.
Leitfaden für Ausbildung
Über die Jahre hat das Team um Esprit immer wieder mal aufgeschrieben, was man können muss, um als Stammcrew zu fahren. Dabei geht weniger um Führerscheine und mehr um Wissen und Erfahrung, vom Umgang mit dem Gasherd über den Umgang mit Tauwerk und das Navigieren bis zum An- und Ablegen unter Motor. Heute gibt es ein kleines Heft, das als Leitfaden dient. Wer Lust hat, als Deckshand, Wachführer:in, Co-Skipper:in oder Skipper:in anzumustern, kann darin nachlesen, was die Anforderungen an die Rolle sind. Im Stammcrew-Training wird das dann praktisch erprobt.
Samstagmittag. Der Wind ist wieder da. Esprit fährt durch die Schleuse raus auf die Weser. Die Segel werden gesetzt, alle fassen mit an. Diese Manöver anzuleiten ist auch ein Job für die Stammcrew. Statt Klüver zwei wird jetzt die Genua gesetzt. Eine Bö fasst das Tuch. Esprit kommt in Fahrt. Jetzt raus auf die Nordsee? Nein. Stattdessen: Ankern üben auf Blexen Reede.